Keine Frage, man darf das nicht mit den HBO Sachen vergleichen, die ich liebe, mit den „Sopranos“, mit „Deadwood“ oder „Six Feet Under“. Es geht hier um Werbefinanziertes Free-TV. Umso überraschender. In Deutschland katastrophal gefloppt und es wundert mich nicht.
Genausowenig wie es mich wundert, dass „Sex and the City“ hier richtig knallt, oder „Ally McBeal“ alles niederbrettert (nicht das wir uns falsch verstehen, ich habe auch alle 5 Staffeln Ally McBeal geglotzt, aber ich war sediert und in meiner unsäglich harmonischen Beziehung gehirntechnisch ausgeschaltet) aber es gibt eben auch noch etwas anderes. Wie kann es zum Beispiel sein, dass FX in Amerika eine solche Serie produziert und damit bei seinem Stammpublikum auch noch Erfolg hat. Sind die Amis doch nicht so doof wie wir immer tun?
For Starters: „Nip/Tuck dreht sich um zwei Schönheitschirurgen in Miami. Der eine scheint einer Wellnessfarm entsprungen und hat „Ich will Ficken“ auf die Stirn tätowiert, der andere gibt den Spießbürger mit Kids und allem Drum und Dran. Beide, eigentlich alle, belügen sich nach Strich und Faden, leben komplett gegen ihre Überzeugungen, wie sich im Lauf der 24 Folgen herausstellen wird. Das geniale an Nip/Tuck ist die Form. Der Entschluss diese Allerweltsgeschichten in die denkbar oberflächlichste aller bewußtseinsbildenden Persönlichkeitsveränderungen einzubetten und aus dieser Spannung ganz persönliche, wenn man so will, klassische dramatische Konstellationen zu bauen. Das hat schon was.
Tatsächlich ist der Frauenfresser ein sensibler Hasenfuß, tatsächlich ist der Moralapostel ein haßerfüllter Kleingeist. Tatsächlich ist die Ehe eine Illusion, tatsächlich ist nichts vor Veränderung sicher, schon gar nicht wenn es um Existenzielles geht, wie etwa die Vaterschaft. Die erste Staffel führt langsam aber beständig auf dieses komplexe Bindungsgefüge hin, dass man erst in der zweiten Staffel vollends ausbreitet. Das Schöne ist nun, dass es etliche Szenen gibt, in denen die Schauspieler so richtig loslegen können. Ganz besonders beeindruckend ist dabei Joey Richardson in der Rolle der sich opfernden Ehefrau. Ich möchte mal wissen, in welcher deutschen Fernsehserie man derart radikal und schonungslos mit dem umgeht, was Emanzipation wirklich bedeutet.Und damit meine ich beide Geschlechter.
Natürlich folgt auch „Nip/Tuck“ den formelhaften Strukturen gut durchkonzipierter Serien. Es gibt mehrere Handlungsstränge, die nebeneinander her unterschiedlich viel Raum einnehmen. Es gibt im Vordergrund den Plot, der die jeweilige Folge zusammenhält, es gibt Character-Arcs, die über mehrere Folgen mehr oder weniger Belangloses erzählen und da sicher auch Erwartungshaltungen befriedigen. Aber man muss schon auch die realen Produktionsumstände mit in Betracht ziehen, unter der eine solche Serie überhaupt erst verkaufbar ist.
Entscheidend sind die Langzeitbeobachtungen, die das Serienformat überhaupt erst im Vergleich zum Spielfilm spannend machen. Gar nicht erwähnt habe ich, wie man die Operationen ins Bild setzt, schmerzhaft im Detail, ironisierend in der Musikauswahl, die jeden Eingriff passend unterstreichen. Das ist dann wieder geschmackssicherer Umgang mit Popkultur. Bemerkenswert!