Es gibt viele spannende Aspekte, die A History of Violence antriggert. Etwa die Funktionsweise von Sex, die im Film an zwei Stellen ganz explizit aufgebrochen wird. Einmal, zu Beginn, wenn das Ehepaar im Rollenspiel einen neuen Zugang zu sich selbst sucht, später, wenn die anarchische Kraft entfesselter Gewalt über das Familienglück hereingebrochen ist. Dann kommt es zu einem "bösen" Fick auf der ungemütlichen Treppe, wie Andreas Busche in der taz schreibt und der den "Point of no Return" eindringlich markiert.
Mal abgesehen davon, dass ich nicht wirklich weiss, was ich mir unter "bösem" Sex vorstellen soll, wird an dieser Formulierung ziemlich exakt deutlich, was vielleicht das größte Verdienst des Filmes ist. Cronenberg schafft es immer wieder den Zuschauer in seiner Wahrnehmung zu verunsichern, führt ganz bewußt hin auf gefährliches Terrain, entfernt den Schleier der uns umgibt und uns etwas vorgaukelt, von dem wir doch eigentlich ganz genau wissen, dass es nicht existiert.
Die Treppensexszene ist für mich deshalb sehr viel mehr noch Ausdruck dieser Einsicht. Der andere wird immer fremd bleiben, auch in der Ehe. Sex ist deswegen weder gut noch böse, schon gar nicht aggressiver, leidenschaftlicher Sex. Allerdings, die Dinge bleiben dennoch wie sie sind. Und das wird Cronenberg nicht müde immer wieder zu betonen. Wenn der Held am Ende der Gewaltspirale angekommen ist, wenn er seinen Bruder getötet hat, kniet er am Ufer eines Sees. Er wirft die Waffe ins Wasser und blickt in sein Spiegelbild und wir wissen in diesem Moment wie er selbst, dass die obligatorische Szene im Film Noir, unter der Dusche, die rituelle Reinigung also, deren Entsprechung diese Szene ist, nichts ändern wird.
Auf einer anderen Ebene ist der Film aber auch eine Zustandsbeschreibung Amerikas, und warum auch nicht, schließlich sind wir alle längst "Amerika", mehr als uns lieb sein kann. So gesehen ist A History of Violence auch ein Post-9/11-Film, mit der ganzen Paranoia und dem Mist. Als Tom/Joey die schwarze Limousine vor seinem Laden zu sehen glaubt, wie sie plötzlich anfährt und gen Horizont verschwindet, verliert er den Verstand, wie er später seinem Sohn gesteht. Er hetzt humpelnd nach Hause "to save the Day". Das ist bitter und komisch zugleich.
Sein Sohn fragt ihn schließlich was denn geschehen wird, falls sein Dad Recht behält und die "Bösen" tatsächlich hinter ihnen her sind. In diesem Moment offenbart sich, was man von Anfang an leicht irritiert vermutet. "Then we will deal with it" entgegnet der Papa mit ernster Mine wie ein Westernheld.
Das amerikanischste aller Genres, der Western also, bietet den perfekten Nährboden für den Stoff und schon alleine die Art und Weise, wie Cronenberg das stilistisch angeht, ist das Eintrittsgeld wert. Davon abgesehen lässt sich daran aber auch wunderbar die Fragestellung nach dem Verlust der Unschuld abarbeiten. Auch an diesem Punkt geht Cronenberg einen Schritt weiter als man das vielleicht gewohnt ist und verbindet damit keine Wertung. Es ist beinahe als wolle er bezweifeln, dass es so etwas wie Unschuld überhaupt gibt.
Ich bin gespannt wie lange es dauern wird, bis sich Seeßlen auf den Film stürzen wird, und darauf freue ich mich, und ich bin gespannt wie viele Texte noch auf uns einprasseln, die sich auf die explizite Darstellung von Gewalt beziehen um sich dann im "Name-Dropping" zu überbieten, der lächerlichste Vergleich vielleicht der mit Tarantino. Es ist seltsam und nicht wirklich nachvollziehbar warum man mit Cronenbergs Filmen so umgeht, schon immer eigentlich, nur mit veränderten Vorzeichen. Für mich, und der Radius meines Filmkonsums ist überschaubar, ist A History of Violence das erste Meisterwerk des Kinojahres.
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