Der bislang stärkste Film, den ich von Wiseman sah. Belfast liegt am Atlantik, ganz oben rechts, im Norden der USA. Man nennt diese Region, die im Süden etwa bei Boston beginnt und im Norden bis an die kanadische Grenze reicht, New England. Und ich kenne keine Gegend in den Staaten, die sich tatsächlich europäischer anfühlen würde. Man lebt dort in allererster Linie vom Fischfang und der verarbeitenden Industrie. Und die Betrachtung dieser Industrie steht dann auch im Mittelpunkt des Films. Bemerkenswert die Miniaturen, die wiederholt Produktionsabläufe herauslösen, im Detail die Funktionsweise von Arbeitsprozessen aufschlüsseln, in einer Wäscherei, beim Fischfang, immer wieder in Fabriken.
Ziemlich gegen Ende des über 4 Stunden langen Werkes, gibt es eine dieser angesprochenen Miniaturen, in einer Fischkonservenfabrik. Das letzte Bild, mit dem man aus der Sequenz aussteigt, zeigt das Gebäude von außen, im Vordergrund verwildertes Brachland. Dann sind wir wieder auf dem Wasser und man kann wieder durchatmen. Die Atemlosigkeit, die sich bei mir eingestellt hat, fußt auf der unumwundenen Bewunderung für den Schnitt. Klar, Dokumentarfilme entstehen naturgemäß im Schnitt, sehr viel stärker noch als Spielfilme. Bei Wiseman hat das aber noch eine entscheidendere Funktion.
Durch die Verweigerung übliche Dokumentarfilmtechniken aufzugreifen, etwa die Verdichtung auf eine oder mehrere Protagonisten, den Einsatz von Voice-Over u.ä., indem man also das Material für sich sprechen läßt und keine allzu offensichtlichen dramaturgischen Hilfsmittel bemüht (ohne Dramaturgie geht es natürlich auch bei Wiseman nicht ab), geht man den Dingen, wie ich finde, nicht nur nachhaltiger auf den Grund, man gewinnt auch formalästhetisch, durch die Betonung von Rhythmus, von Ausscheren und Wiederaufnahme.
Es braucht schon alleine deshalb auch ausgiebig dioaloglastige Sequenzen - oftmals in Kursen, Gesprächskreisen oder der Kirche - an Orten des öffentlichen Lebens also. Und natürlich geht es Wiseman inhaltlich um ein Aufspüren, um das Nachzeichnen von dem was Leben eigentlich bedeutet. Stärker als in den von mir bislang gesichteten Filmen gibt es aber auch eine Tendenz zur vorsichtigen Kommentierung. Am Ende des 20. Jahrhunderts hat sich die USA in ein Land verwandelt, so der Eindruck den der Film suggeriert, in dem Leben portionierbar geworden ist. Anonymisiert und abgepackt, wie die Heringe in der Fischkonservenfabrik.
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